H. Einhaus: Für Recht und Würde.

Cover
Titel
Für Recht und Würde. Georges Brunschvig: Jüdischer Demokrat, Berner Anwalt, Schweizer Patriot (1908–1973)


Autor(en)
Einhaus, Hannah
Reihe
Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz 17
Erschienen
Zürich 2016: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
321 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Helena Kanyar Becker

Odette Brunschvig-Wyler (1916–2017) inspirierte und begleitete die Entstehung der Biographie über ihren verstorbenen Mann. Seit 1935 bis zu seinem unerwarteten Tod 1973 nahm sie aktiv teil an seinen vielfältigen Tätigkeiten und engagierte sich auch weiterhin in gemeinnützigen Organisationen. Da sie über ein hervorragendes Gedächtnis verfügte, konnte sie detailreiche Berichte liefern und Kontakte zu Brunschvigs Wegbegleitern ermöglichen. Die Witwe öffnete der Autorin den Zugang zum umfangreichen Familienarchiv. Neben den Privatquellen setzte sich Hannah Einhaus mit zahlreichen Quellen in öffentlichen Archiven auseinander und führte Interviews mit Zeitgenossen und Fachleuten. Sie charakterisiert Georges Brunschvig als einen schweizerischen und jüdischen Patrioten, Demokraten und Politiker, der über ein dichtes Verbindungsnetz verfügte und diskrete Verhandlungen bevorzugte. Als Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG, 1946–1973) und Rechtsvertreter der Israelischen Botschaft (ab 1949) repräsentierte er offiziell die jüdischen Interessen und engagierte sich gegen Antisemitismus. Als Anwalt brillierte er in spektakulären Gerichtsprozessen.

Gleich am Anfang seiner Berufskarriere 1933 übernahm Brunschvig die Rolle des Anklägers in der international beachteten Gerichtsverhandlung über die antisemitische Hetzschrift Protokolle der Weisen von Zion. Nach dramatischen Peripetien, zahlreichen Zeugenauftritten und Expertisen gelang es Brunschvig und seinen Berufskollegen im Mai 1935, den Prozess zu gewinnen. Die Protokolle wurden in der Schweiz als Schundliteratur verboten. Das Urteil musste jedoch 1938 unter dem politischen Druck des Dritten Reiches in einem Revisionsverfahren aufgehoben werden.

Als der Medizinstudent David Frankfurter im Februar 1936 den Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation Wilhelm Gustloff in Davos erschoss, bezeichnete die Nazipropaganda das Attentat als eine Attacke der jüdischbolschewistischen Weltverschwörung und inszenierte bombastische Gedenkfeiern für den «Märtyrer». Das Gericht in Chur verurteilte Frankfurter zu achtzehn Jahren Zuchthaus. Ende Oktober 1943 übernahm Georges Brunschvig die Rechtsvertretung von Frankfurter, und zusammen mit dem Berner Rabbiner Eugen Messinger, dem Chefredakteur der Neuen Bündner Zeitung Paul Schmid- Ammann sowie dem Zürcher Anwalt Veit Wyler kämpfte er für die Befreiung des Häftlings. Die Begnadigung David Frankfurters am 1. Juni 1945 wurde als ein Triumph bejubelt. Er wanderte Anfang September nach Palästina aus.

Während der Kriegszeit wurde Georges Brunschvig zum Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Bern (IKGB, 1940) gewählt und gehörte zum erweiterten Vorstand des SIG (ab 1943). Er hielt auch die Trauerrede für den jüdischen Viehhändler Arthur Bloch, der in Payerne von schweizerischen Antisemiten ermordet wurde (1942). Es sollten noch über zwei Jahre verstreichen, bis der Bundesrat unter dem Eindruck der Vernichtung der ungarischen Judenbevölkerung die Landesgrenzen für jüdische Flüchtlinge öffnete (Juli 1944).

Als Rechtsberater des Staates Israel verteidigte Brunschvig 1963 den Mossad- Agenten Joseph Ben Gal in einem brisanten Basler Prozess über die ägyptische atomare Aufrüstung gegen Israel. Präsident Nasser hatte etwa 350 deutsche und österreichische Spezialisten für dieses Projekt angestellt, die zum Teil schon für das Dritte Reich an der Raketenentwicklung gearbeitet hatten. Der Israeli Ben Gal, der die Familienangehörigen eines deutschen Wissenschaftlers vor den Konsequenzen gewarnt hatte, wurde in Basel freigesprochen. Brunschvig erhielt Morddrohungen, ähnlich wie beim Prozess über die Protokolle 1933.

Im Februar 1969 wurde der Flughafen Kloten zum Schauplatz des Nahostkonflikts, als vier palästinensische Terrorristen ein El-Al-Flugzeug überfielen. Der israelische Sicherheitsbeamte Mordechai Rachamim rettete in einer Blitzaktion alle Passagiere, wobei er einen der Terroristen erschoss. Im November 1969 begann in Winterthur die aufsehenerregende Gerichtsverhandlung zu diesem Vorfall. Brunschvig rekonstruierte die Ereignisse am Tatort, um später falsche Zeugenaussagen und Polizeirapporte korrigieren zu können. Nach dramatischen Wendungen wurde der angeklagte israelische Sicherheitsbeamte freigesprochen und die drei Attentäter, zwei Männer und eine Frau, erhielten Freiheitsstrafen von 12 Monaten. Sie wurden jedoch nach dem Absturz der Swissair-Maschine am 21. Februar 1970 über Würenlingen im Kanton Aargau und mehreren Flugzeugentführungen im Oktober 1970 aus der Haft entlassen.

Der Diplomat Georges Brunschvig förderte den palästinensisch-israelischen Dialog im Nahostkonflikt und setzte sich von der Schweiz aus ein für die Unterstützung des Staates Israel. Nach einer engagierten Rede nach Ausbruch des Jom- Kippur-Krieges im Oktober 1973 erlitt er einen Herzinfarkt.

Die Historikerin und Journalistin Hannah Einhaus verfolgt Brunschvigs Lebenslauf im breiten zeitgeschichtlichen Kontext und hat eine minutiös recherchierte Biographie vorgelegt, die zugleich in spannendem essayistischem Stil und kultivierter Sprache verfasst ist.

Zitierweise:
Helena Kanyar Becker: Rezension zu: Hannah Einhaus, Für Recht und Würde. Georges Brunschvig: Jüdischer Demokrat, Berner Anwalt, Schweizer Patriot (1908–1973), Zürich: Chronos Verlag, 2016. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 3, 2017, S. 493-495.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 67 Nr. 3, 2017, S. 493-495.

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